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Frauen im Ausdauersport. Teil 1: Zwischen Triathlon und Triade

Top-Triathletinnen beim Ironman in Frankfurt: Skye Moench, Jen Annett, Imogen Simmonds, Sarah True
Top-Leistungen: Top-Triathletinnen beim Ironman in Frankfurt. Von links nach rechts: Skye Moench, Jen Annett, Imogen Simmonds, Sarah True (Fotos: iQ athletik)

Ronja Klees ist Sportwissenschaftlerin B. Sc. und Sportlerin. Als Trainerin und Diagnostikerin bei iQ athletik liegt ihr das Thema Frauengesundheit ganz besonders am Herzen. Mit einem Dreiteiler zu diesem Thema möchte sie aufklären und wertvolle Tipps geben – damit Frauen einfach gesünder und erfolgreicher trainieren.

Ronja Klees, Sportwissenschaftlerin B. Sc.  und Trainerin bei iQ athletik in Frankfurt
Ronja Klees, Sportwissenschaftlerin B. Sc., Trainerin und Diagnostikerin bei iQ athletik

19. April 1967 –  Boston

Frauen war es bis dato verboten an Wettkämpfen über die Marathondistanz teilzunehmen. Die allgemein gültige Erklärung der Männer dafür war, dass man Angst habe, Frauen könnten durch die vielen Erschütterungen während des Marathons ihre Gebärmutter verlieren. Kathrine Switzer ging an diesem Tag in die Geschichte ein. Sie war die erste Frau die, geschützt durch zwei Bodyguards und getarnt mit Wollmütze und Trainingsanzug, den Boston Marathon lief und den laufenden Frauen auf der ganzen Welt den Weg ebnete. 

12. Oktober 2019 – Hawaii

Die Kanone verkündet den Schwimmstart bei der Ironman Weltmeisterschaft auf Big Island. Die Profi Frauen starten fünf Minuten nach den Männern. Aus dem noch tiefliegenden Nebel bricht eine Frau mit deutlichem Abstand als erstes heraus. Es handelt sich um die später zweitplatzierte Lucy Charles-Barcley, welche nach einigen Minuten die mit Vorsprung  gestarteten Männer eingeholt hat. In den Top 10 der Männerwertung schwimmen nur drei Athleten schneller als Sie.

Die ehemalige Olympiastarterin auf der Kurzdistanz Anne Haug läuft im gleichen Wettkampf einen schnelleren Marathonsplit als fünf der Top 10 platzierten Männer und kann sich den Sieg im Frauenrennen sichern.

Lucy Charles-Barcley beim Ironman Frankfurt
Starke Leistung von Lucy Charles-Barcley beim Ironman in Frankfurt 2017. Am Ende ist sie auf den zweiten Platz der Profi-Frauen gelaufen (Foto: iQ athletik)

Frauen sind längst nicht mehr das schwache Geschlecht. Sie haben bewiesen, dass sie den Männern in Nichts nachstehen und ebenso in der Lage sind sportliche Höchstleistungen zu erbringen. Längst stellt das Niemand mehr in Frage. Frauen gehören in den Ausdauersport. Doch viele von ihnen zahlen für ihre unglaublichen Leistungen einen hohen Preis. 

Wenn Leistung krank macht: Die Triade der weiblichen Athleten

Bei dem sogenannten Female Athletes Triad (FAT; zu Deutsch: Die Triade der weiblichen Athleten) handelt es sich um ein komplexes Krankheitsbild, bestehend aus drei pathologischen Prozessen, die sich gegenseitig bedingen: Ein durch intensives und umfangreiches Training entstehendes ständiges Energiedefizit kann das Ausbleiben der Menstruation (hypothalamische Ammenorhoe) nach sich ziehen. Wenn dies über einen langen Zeitraum der Fall ist, fällt der für die Knochenmineralisierung entscheidende Östrogenspiegel ab, was eine erniedrigte Knochendichte zur Folge haben kann. Dies ist häufig eine der Ursachen für einen Ermüdungsbruch bei Sportlerinnen.

Wie entsteht ein Energiedefizit?

Das Energiedefizit ist der Schlüssel- und Ausgangspunkt der Triade. Die Energieverfügbarkeit setzt sich zusammen aus Energieaufnahme pro Energieverbrauch. Von einem Defizit spricht man bei einer Verfügbarkeit von weniger als 30 kcal/kg fettfreier Masse. Dieses Defizit hat zur Folge, dass die physiologischen Funktionen des Körpers heruntergefahren werden. Ein Energiedefizit ist nicht immer das Resultat einer Essstörung und sollte deshalb auch ganz klar davon differenziert werden.

Es kann grundsätzlich zwei Ursachen haben:

  • Die eine Ursache ist, dass die Sportlerin ihren Bedarf nicht mehr decken kann, da dieser durch die vielen umfangreichen und intensiven Einheiten einfach zu hoch ist.
  • Eine zweite Möglichkeit wäre, dass ein Kaloriendefizit bewusst erzeugt wird. Dies kommt besonders häufig in Sportarten vor, bei denen ein niedriges Gewicht einen klaren Wettkampfvorteil bringen kann. 

Wann spricht man von einer Ammenorhoe (ausbleibenden Periode)?

Eine Ammenorhoe ist das Gegenteil einer Eumenorrhoe. Bei einer Eumenorrhoe liegt ein normaler Zyklus mit einer regelmäßig eintretenden Periode vor. Bei einer Ammenorhoe bleibt der Zyklus aus.

Es gibt zwei Arten von Ammenorhoe:

  • Eine primäre Ammenorhoe bezeichnet das Ausbleiben oder auch gar nicht erst einsetzten der ersten Periode bis zum 17. Lebensjahr. Besonders unter Nachwuchsleistungssportlern ist diese sehr verbreitet.
  • Von einer sekundären Ammenorhoe spricht man ab einem Ausbleiben der Periode von mehr als drei Monaten, nachdem diese jedoch schon regelmäßig vorhanden war.

Starke diätische Essensreduktion sowie erhöhter Energiebedarf durch Sport können sich negativ auf die reproduzierende Aktivität des Körpers, sprich auf die Eizellenbildung, auswirken. Wichtig ist an dieser Stelle nochmal zu betonen, dass nicht der Sport direkt die Ursache des Problems ist, sondern das dadurch entstehende Energiedefizit.

 

Wie können diese beiden Punkte mit einem Knochenbruch in Verbindung gebracht werden?

Die durch den Bone Mineral Density Score (BMD) bestimmte Knochendichte sollte bei gesunden Athletinnen 5-15% höher sein als bei Inaktiven. Entsprechend kann ein vermeintlich „normaler Wert“ bei sehr aktiven Sportlern schon als auffällig beschrieben werden, was die Diagnose einer Pathologie zusätzlich erschwert.

Ein zu niedriger BMD kann durch zwei Arten entstehen, die beide ihren Ursprung in dem Energiedefizit haben:

  • Durch einen direkten Nährstoffmangel: Das betrifft insbesondere einen Mangel an Calcium oder Vitamin D3. Auch kann das Energiedefizit die metabolischen Hormone negativ beeinflussen, die ebenfalls am Knochenstoffwechsel beteiligt sind.
  • Indirekt durch einen Östrogenmangel bei Menstruationsstörungen: Wenn weniger Östrogen ausgeschüttet wird führt das dazu, dass die Calcium-Absorption im Darm und die Proteine, die für einen gesunden Knochenstoffwechsel wichtig sind, gehemmt werden.

Einmal aus dem Gleichgewicht gebracht kann ein nicht funktionierender Knochenstoffwechsel dazu führen, dass Stressfrakturen vermehrt auftreten. Im schlimmsten Fall entwickeln auch sehr junge Athletinnen aus diesem Zustand heraus Osteoporose.

Female Athletes Triad im Fokus der Wissenschaft

Eine erst 2017 durchgeführte Untersuchung von Tenforde und Kollegen zeigt erschreckende Ergebnisse (Tenforde et al., 2017):

  • Untersucht wurden 323 Leistungsathletinnen an amerikanischen Colleges
  • Bei 239 traten Mestruationsunregelmäßigkeiten auf. Bei diesen wurde anschließend die Knochendichte in Form des Bone Mineral Scores (BMD) bestimmt. Der niedrigste BMD Score wurde demnach bei Schwimmerinnen, Synchronschwimmerinnen, Ruderinnen und Cross-Country Läuferinnen gefunden.
  • Von den Untersuchten konnten 29% der Gruppe der moderat bis stark Gefährdeten für die Triade zugeordnet werden

Alarmierend ist hierbei auch, dass die allgemeine Kompetenz in der Behandlung der Triade bisher als sehr niedrig eingeschätzt wird, was es dringend zu ändern gilt (Kroshus et al., 2018; Tenforde et al., 2020). Dass die Triade einen zunehmend hohen wissenschaftlichen Stellenwert bekommt, wird an der zunehmenden Anzahl der veröffentlichen Forschungsarbeiten deutlich. Die folgende Grafik verdeutlicht dies eindrucksvoll.

Die Abbildung zeigt die Anzahl der Studienergebnisse zu Female Athletes Triad bei PubMed im Verlauf der Jahre
Gewinnt an Bedeutung und ist immer mehr Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen: Female Athletes Triad. Die Abbildung zeigt die Anzahl der Studienergebnisse bei PubMed im Verlauf der Jahre (Screenshot von PubMed)

Wer ist gefährdet?

  • Athletinnen aus Sportarten mit Gewichtsklassen (z.B. olympisches Gewichtsheben)
  • Athletinnen aus Sportarten mit Wettkampfvorteil durch niedriges Gewicht (z.B. Langstreckenlauf)
  • Athletinnen aus Sportarten mit extrem hohem Energieverbrauch (z.B. Triathlon)
  • Athletinnen aus sehr ästhetisch betonten Sportarten (z.B. Turnen)
  • Athletinnen mit einem hohen Leistungsdruck (Leistungsportlerinnen aus jeder Sportart)
  • Männliche Athleten aus den vorher genannten Sportarten: Denn auch hier hat eine niedrige Energieverfügbarkeit viele negative Konsequenzen

Therapie und Rückkehr zum Sport

Hat eine Athletin erstmal alle Pathologien der Triade entwickelt, so werden multidisziplinäre Therapieverfahren notwendig. Oft wird der Umfang der sportlichen Trainings massiv reduziert oder das Training sogar kurzzeitig eingestellt. Dazu kommen mentale und ärztliche Betreuung. Es gilt  in jedem Fall zu verhindern, dass es so weit kommt. Aber wie?

Bewusstsein schaffen für bewusstes Handeln

Der weibliche Zyklus hat einen hohen Stellenwert! Er ist nicht nur für die Leistungsfähigkeit essentiell, sondern auch für die langfristige Gesundheit. Vor allem junge Sportlerinnen sind oft nicht besorgt, wenn die Periode eines Tages ausbleibt, sondern im Gegenteil erfreut: Keine unangenehmen Einschränkungen mehr in Training und Wettkampf, keine Müdigkeit, keine Verstimmung, keine Schmerzen. 

Doch was langfristig folgt ist deutlich schlimmer, wie hier bereits vorher ausführlich beschrieben wurde. Sportlerinnen sollten ihrem Zyklus wieder mehr Beachtung schenken und die Warnsignale auch als solche deuten. Und genauso sollten Trainer Rücksicht auf dieses Thema nehmen. Denn der Einfluss des Zyklus auf das Training und die allgemeine sportliche Leistungsfähigkeit ist bisher in der Wissenschaft noch ein blinder Fleck, den es dringend zu erforschen gilt. Frauen sollten ihre Biologie nicht als Schwäche wahrnehmen, sondern ganz im Gegenteil bewusst damit arbeiten. 

 

Das Frauen herausragende sportliche Höchstleistungen erzielen können, steht heutzutage außer Frage. Für die Zukunft gilt es vermehrt Antworten darauf zu finden, wie Athletinnen ihren hohen Leistungsstandard erhalten können ohne dabei die eigene Gesundheit gänzlich aus den Augen zu verlieren. 

Wie wäre es wohl, wenn der Zyklus nicht ein lästiges Randthema wäre, sondern im Zentrum der Trainingsplanung stehen würde? Würde das was ändern? Dieser Frage soll in Fortsetzungen dieses Artikels nachgegangen werden. 

Daniela Ryf beim Ironman in Frankfurt
Sportliche Höchstleistungen über viele Jahre: Die schweizer Triathletin Daniela Ryf hat allein zehn WM-Titel gewonnen (Foto: iQ athletik)

Zusammenfassung:

  • Immer mehr Frauen erbringen im (Ausdauer-)Sport Spitzenleistungen
  • Damit einher geht ein gesteigertes Risiko, die Symptome einer athletischen Triade zu entwickeln; auch Female Athletes Triad (FAT) genannt
  • Beim Female Athletes Triad (FAT) handelt es sich um ein pathologisches Dreigestirn aus einem andauernden Energiedefizit, ausbleibender Periode (Amenorrhoe) und verminderter Knochendichte
  • FAT kann man nicht gleichsetzten mit einer Essstörung, es kann aber die Folge einer solchen sein
  • Ein Ausbleiben der Periode kann ein erstes Warnzeichen sein und sollte niemals ignoriert werden
  • Nicht nur Leistungssportlerinnen sind betroffen
  • Die Trainer stehen mit in der Verantwortung, ganz besonders im Nachwuchssport!
  • Ein frühes Erkennen möglicher Risikofaktoren kann schlimmere Erkrankungen wie manifeste Essstörungen und Osteoporose mit Stressfrakturen verhindern

Ausblick

Das wichtige Thema Frauengesundheit soll weiter in den Fokus rücken. In der Fortsetzung dieses Artikels werden die verschiedenen Krankheitsbilder von Anorexia athletica, Low Energy Availibility (LEA), Übertrainingssyndrom (ÜTS) – und der hier vorgestellten Triade  voneinander abgegrenzt. Ein dritter Teil wird dann einen möglichen Ansatz zeigen, wie der Triade wirkungsvoll entgegengewirkt werden kann: Das Training rund um den Zyklus zu periodisieren statt darüber hinwegzusehen.


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Literatur- und Quellenverzeichnis:

De Souza, M. J., Nattiv, A., Joy, E., Misra, M., Williams, N. I., Mallinson, R. J., ... & Panel, E. (2014). 2014 Female Athlete Triad Coalition Consensus Statement on treatment and return to play of the female athlete triad: 1st International Conference held in San Francisco, California, May 2012 and 2nd International Conference held in Indianapolis, Indiana, May 2013. Br J Sports Med48(4), 289-289.

Kroshus, E., DeFreese, J. D., & Kerr, Z. Y. (2018). Collegiate Athletic Trainers' Knowledge of the Female Athlete Triad and Relative Energy Deficiency in Sport. Journal of athletic training53(1), 51-59.

Stand, P. (2007). The female athlete triad. Med. Sci. Sports Exerc39(10), 1867-82.

Tenforde, A. S., Carlson, J. L., Chang, A., Sainani, K. L., Shultz, R., Kim, J. H., ... & Fredericson, M. (2017). Association of the female athlete triad risk assessment stratification to the development of bone stress injuries in collegiate athletes. The American journal of sports medicine45(2), 302-310. 

Tenforde, A. S., Beauchesne, A. R., Borg-Stein, J., Hollander, K., McInnis, K., Kotler, D., & Ackerman, K. E. (2020). Awareness and Comfort Treating the Female Athlete Triad and Relative Energy Deficency in Sport among Healthcare Providers. Nurse practitioner3, 2.

https://www.faz.net/aktuell/sport/mehr-sport/marathonfrau-schockte-maennerwelt-der-legendaere-lauf-der-kathrine-switzer-1435289.html (aufgerufen am 03.06.2020)

https://www.tri2b.com/ergebnisse/detail/ergebnis/ironman-hawaii-2019-kailua-kona-usa-elite-profiwertung/ (aufgerufen am 03.06.2020)

https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/?term=female%20athletes%20triad&pos=2 (aufgerufen am 16.06.2020)