Bike to Work: Den Arbeitsweg als Trainingsstrecke nutzen

Mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren ist nicht nur für die Umwelt gut. Was das für Körper und Geist bringt und wie man dabei den Arbeitsweg als Trainingsstrecke nutzt, hat der iQ athletik Mitbegründer und Sportwissenschaftler Andreas Wagner in einem interessanten Interview verraten.

Andreas Wagner, Sportwissenschaftler, Gründer von iQ athletik
Andreas Wagner M.A. | Der Mitbegründer von iQ athletik und Sportwissenschaftler fährt täglich mit Gravelbike ins Institut


Du fährst täglich mit dem Fahrrad von Frankfurt-Zeilsheim nach Rödelheim, wo Du zusammen mit Kollegen das Trainingsinstitut iQ athletik betreibst. Warum machst Du das?

Mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren ist für mich Fitness, Freude und sprichwörtlich ein aktiver Klimaschutz. Wer auf dem Weg zur Arbeit Kalorien statt Benzin verbrennt, tut sich und der Umwelt etwas Gutes. Bewegung ist Lebenselixier. Wenn wir mit Muskelkraft die Räder am Fahrrad zum Rollen bringen, läuft auch vieles in unserem Körper runder. 

Dann ist es also ganz besonders gesund, mit dem Rad zur Arbeit zu fahren?

Dass Pendelnde, die sich aufs Fahrrad statt ins Auto oder in Busse und Bahn setzen, gesünder und meist länger leben, haben Untersuchungen gezeigt. In einer umfangreichen Gesundheitsstudie aus Großbritannien kommen die Forscher zu dem Ergebnis: Nichts ist gesünder, als mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren (Patterson et al., 2020). In der Studie wurden Daten von über 300.000 Pendler*innen analysiert, die ihren Arbeitsweg zu Fuß, mit dem Auto oder den öffentlichen Verkehrsmitteln bewältigten.  

In Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass das Pendeln mit dem Fahrrad zur Arbeit physiologische Parameter wie die maximale Sauerstoffaufnahme (VO2max) und Cholesterinwerte positiv beeinflussen kann (Tjelta et al., 2010).

Ein für die Gesundheit nicht zu unterschätzender Faktor ist grundsätzlich, dass die körperliche Bewegung beim Radfahren Stress abbaut. Die Fahrt mit überfüllten Bussen und Bahnen oder das Stehen im Stau mit dem Auto führt dagegen zu Stress. Und negativer Stress wirkt auch negativ auf die Gesundheit.

Bike to work
Bike to Work mit dem mobilen Büro im Gepäck
Mit dem Rad am Main pendeln
Sonnenaufgang am Main
Mit dem Rad zur Arbeit fahren
Mit dem Rad zur Arbeit fahren rockt!

Wer mit dem Fahrrad zur Arbeit pendelt, der strampelt also auch seinen Kopf frei?

Wenn ich morgens mit dem Rad im „Stau“ stehe, dann nur, weil ein paar Gänse den Uferweg an der Nidda kreuzen. Mit dem Rad zur Arbeit fahren ist wie eine Auszeit vom Alltagsstress. Wenn ich an der Alten Schiffsmeldestelle in Höchst den Sonnenaufgang erlebe, trete ich mit einem breiten Grinsen in die Pedale – auch in den Herbst- und Wintermonaten. Das sind fantastische Momente, die mir an diesem Tag keiner mehr nehmen kann. Im Institut angekommen, habe ich dazu noch das gute Gefühl, bereits eine Trainingseinheit absolviert und etwas für meine Fitness getan zu haben. Im Alltag bleibt oft wenig Zeit für Training. Und da ist das die ideale Möglichkeit, den Pendelweg zum Sport zu machen.

Was braucht es denn, um den Arbeitsweg mit dem Rad zum Sport zu machen?

Gar nicht viel. Zunächst einmal die Motivation, etwas zügiger in die Pedale zu treten. Damit das Fahren mit dem Rad zur Arbeit möglichst viele positive Effekte auf das Herz-Kreislauf-System und die Gesundheit hat, muss es etwas anstrengend sein und braucht auch eine gewisse Länge. Mit 30 Minuten Radfahren täglich lässt sich schon viel Gutes für die Gesundheit tun. Wer allerdings ständig rollen lässt – ohne kontinuierlich in die Pedale zu treten – der verschenkt die Chance, auf dem Radweg etwas für die eigene Fitness zu tun. Wer zügiger radelt, verbrennt auch mehr Kalorien, was gut gegen Adipositas und Diabetes ist. 

Bike to Work im Winter
Coole Sache: Bike to Work im Winter an der Nidda
Mit dem Rad über die Nidda
Historischen Brücke über die Nidda
Mit dem Rad den Stau umfahren
Mit dem Rad im "Stau" am Flussufer

Wie lange ist denn Dein Radweg zur Arbeit? 

Mein Radweg zur Arbeit ist rund 13 Kilometer lang. Hier fahre ich durchgängig zügig und spiele dabei auch immer wieder mit der Intensität und mache etwas mehr Tempo. Ich kann die Sache spielerisch angehen, da ich das Pendeln zur Arbeit zum allgemeinen Fitnesstraining nutze. Habe ich das Gefühl, ich brauche mal wieder mehr Grundlage, baue ich absichtlich Umwege ein und mache mehr Strecke mit weniger Tempo.

Der Arbeitsweg kann also auch als gezielte Trainingseinheit geplant werden?  

Im Trainingsinstitut betreuen wir mehrere Sportlerinnen und Sportler, die sich gezielt auf einen Wettkampf vorbereiten. Zum Beispiel auf den schönen Radklassiker Eschborn-Frankfurt am 1. Mai oder den Ironman Frankfurt. Wer von diesen Sportlern*innen mit dem Rad zur Arbeit fährt, dem planen wir dann den Pendelweg als systematische Trainingseinheit mit gezielten Inhalten (mehr über Trainingsplanung erfahren).

Wie sieht dann eine solche Trainingseinheit aus?

Wir schauen uns an, welches Streckenprofil und welche Streckenlänge der Weg zur Arbeit hat. Dann planen wir für den Pendelweg Trainingsinhalte, die speziell auf das restliche Training abgestimmt werden. Wer einen kurzen Weg zur Arbeit von unter 30 Minuten hat, dem planen wir intensive Einheiten in Form von Intervallen ein. Nach einem Warmfahren könnte zum Beispiel eine Vorgabe lauten: zehn Sekunden hart zu fahren, dann wieder zehn Sekunden locker zu treten. Das ganze fünf Mal wiederholen, dann drei Minuten locker fahren. Diesen Block dann insgesamt fünf Mal wiederholen. 

Wer einen Weg zur Arbeit von einer Stunde und aufwärts hat, dem planen wir auch Einheiten zum Verbessern der Grundlagenausdauer oder bestimmter Trainingsbereiche ein. Bestenfalls haben wir die Sportler bei uns im Institut zur Leistungsdiagnostik gehabt und können ganz konkrete Vorgaben für Herzfrequenzbereiche und/oder Wattwerte beim Radfahren geben (mehr über Leistungsdiagnostik erfahren).

Nidda-Ufer mit dem Rad erleben
Mit dem "SUV" (Gravelbike) am Nidda-Ufer entlang
Mit dem Commuter Bike zur Arbeit fahren
Commuter AHOI! Schiffsmeldestelle Höchst
Mit dem Fahrrad pendeln
Am Ziel in Rödelheim: Trainingsinstitut iQ athletik

Kann ich auch ohne Frühstück zur Arbeit losradeln und trainieren?

Bei Radfahrten von rund einer Stunde zur Arbeit kann auch mal ein gezieltes Nüchterntraining zum Verbessern des Fettstoffwechsel eingeplant werden. Das Nüchterntraining findet, wie der Name bereits verrät, im nüchternen Zustand statt. Es bedeutet also, dass nach dem Aufstehen maximal etwas Wasser getrunken wird, jedoch keine Nahrungsaufnahme durchführt wird. Hierbei ist aber zu beachten, dass der Blutzuckerspiegel sehr tief ist. Dies kann zu einer verschlechterten Konzentrationsfähigkeit führen. Daher sollte die Pendelstrecke am Morgen gut ausgewählt werden und Sturzfallen wie Wurzeln oder ein hohes Verkehrsaufkommen auf der Straße gemieden werden.

Hast Du noch weitere Tipps für das Radtraining auf dem Weg zur Arbeit?

Als Trainingstrecke möglichst Wege aussuchen, die wenig Verkehrsaufkommen haben. Lieber einen Umweg über Feldwege fahren als mitten durch den Verkehr radeln. Umwege fahren, wäre dann auch gleich der nächste Tipp. Ab und an auch mal neue Wege einschlagen, neues Entdecken und ein paar Trainingskilometer extra sammeln.

Spaß bringt das Training besonders auch dann, wenn es in Form eines Fahrtspiels betrieben wird.  Hierbei geben nicht Herzfrequenz- und Wattmesser die Belastung vor, der Sportler und das Streckenprofil bestimmen Tempo und Länge der Trainingseinheit. Dabei wird immer wieder mit dem Tempo gespielt: z.B. berghoch härter, bergab locker. Auch topographische Ziele eigenen sich gut, um zwischen nötiger Belastung und Erholung zu wechseln. So kann z.B. ein Straßenschild, eine Straßenlaterne, eine Parkbank oder eine Weggabelung für einen Zwischensprint oder einen intensiven Belastungsabschnitt gewählt werden.

Mit dem Rad zur Arbeit fahren
Wenn Umwege zu Traumwegen werden
Radfahren rund um das Waldstadion von Eintracht Frankfurt
Bike to Work im Herzen von Europa
After Work Relaxing - Bike to Work
After Work Relaxing: Heimweg mit dem Rad

Was sollten Radpendler denn besonders beachten?

Ein Fehler, der mir bei Pendlern immer wieder auffällt, ist, dass sie falsch auf dem Rad sitzen. Auch wenn die Radler hier noch scheinbar keine Beschwerden haben, kann dies nach einer längeren Zeit mit vielen tausendenden Kurbelumdrehungen ganz anders aussehen. Verschleiß an den Gelenken und chronische Schmerzen machen sich bemerkbar. 

Das stellen wir auch immer wieder bei uns im Institut im Rahmen von Bikefittings fest, wenn wir Räder – auch viele Jobräder - optimal auf die Fahrerin oder den Fahrer einstellen. Oftmals passt der Sattel nicht zur Beckenanatomie, der Lenker ist falsch eingestellt und die Radfahrerinnen und Radfahrer sitzen zu tief oder zu hoch. Wer gesund und besser Radfahren will, dem ist ein Bikefitting sehr zu empfehlen (mehr erfahren). Dann steht einem gesunden Radtraining auf dem Weg zur Arbeit nur noch der eigene Schweinehund im Weg. Und hier gilt dann wieder: Du kannst Resultate haben oder Ausreden.


Der Arbeitsweg ist für sie Trainingsstrecke
Auszug aus der Taunuszeitung vom 22.10.2020

Motivierender Lesetipp zum Pendeln mit dem Rad

Bei iQ athletik fahren viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dem Rad zur Arbeit. So z.B. auch Nadine, die Tochter des "Albatros". Darüber hat die Taunus Zeitung einen sehr lesenwerten Artikel verfasst.

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Der Arbeitsweg ist für sie Trainingsstrecke
Jetzt als PDF lesen! (Auszug aus der Taunus Zeitung vom 22.10.2020)
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Quellen:

Patterson R, Panter J, Vamos EP, Cummins S, Millett C & Laverty, A. Associations between commute mode and cardiovascular disease, cancer, and all-cause mortality, and cancer incidence, using linked Census data over 25 years in England and Wales: a cohort study. The Lancet 2020; Volume 4, Issue 5, E186-E194. DOI: https://doi.org/10.1016/S2542-5196(20)30079-6

Tjelta LI, Kvale OH, Dyrstad SM. Helath effects of cyclling to and drom work. Tidsskr Nor Laegeforen 2010; Jun17; 130(12):1246-9. DOI: 10.4045/tidsskr.09.0787