Kann ich als Ausdauersportler von einem Krafttraining profitieren? Die Antwort gibt ein einfacher Selbsttest

Wertvolles Trainingswissen für Radsportler und Triathleten

Prolog

Im letzten Jahrzehnt hat der Stellenwert eines ergänzenden Krafttrainings für Ausdauersportler zunehmend an Bedeutung gewonnen. Derzeit werden jedoch Stimmen laut, die negative Auswirkungen für Radsportler und Triathleten durch ein Krafttraining betonen. Im Fokus stehen dabei Auswirkungen auf die maximale Laktatbildungsrate; kurz: Vlamax. Das Wissen dazu ist weder neu, noch ist es vollständig aufgeklärt. 

iQ athletik möchte hier zusammen mit den Autoren der 2. Auflage des Buches Krafttraining im Radsport (mehr erfahren) für mehr Transparenz sorgen. Dazu wurde unter anderem ein Selbsttest entwickelt. Mit diesem Test können Radsportler und Triathleten einfach prüfen, ob sie persönlich von einem Krafttraining profitieren würden – oder ob sie einen Bogen um den Kraftraum machen können. Zuvor soll aber noch einmal wichtiges Hintergrundwissen zum Krafttraining im Ausdauersport kompakt vermittelt werden.

Krafttraining braucht Widerstand

Heutzutage wird vieles mit dem Begriff Krafttraining in Verbindung gebracht, was im trainingswissenschaftlichen Sinne überhaupt kein Krafttraining ist. Daher soll hier der Begriff Krafttraining noch einmal kurz definieren werden:

Krafttraining beschreibt ein körperliches Training mit dem Ziel, die motorischen Kraftfähigkeiten zu verbessern. Entscheidend dabei ist der Einsatz von Muskelkraft. Je höher das Kraftniveau eines Sportlers ist, desto höher müssen die gewählten Intensitäten im Training sein, um ein Maximalkraftniveau zu halten und erst recht, um es zu steigern. Um weitere Fortschritte zu erzielen, sind längerfristig immer höhere Belastungsintensitäten nötig. Dies gilt für alle Bereiche des Krafttrainings (Wirth und Kollegen 2012). Erst ab einem Krafteinsatz von mindestens 50% des individuellen Maximalkraftniveaus sollte von einem Kraft(ausdauer)training gesprochen werden (vgl. Schmidtbleicher 2003).

Krafttraining im Ausdauersport: Kniebeuge mit der Langhantel
Regelmäßig beim Krafttraining aktiv: Der Duathlon-Weltmeister (AK) und Gesamtsieger der MTB-Bundesliga U23 Tobias Eise (Foto von Rainer Kraus aus dem Buch Krafttraining im Radsport, 2. Auflage)


Kurz gesagt: Krafttraining braucht Widerstand  das gilt auch im Ausdauersport!

Ausdauersportler erzielen durch ein ergänzendes Krafttraining größere Effekte, wenn die eingesetzten Lasten über 70 Prozent der individuellen Maximalkraft liegen (Bazyler und Kollegen 2015).  


Hinweis: Funktionsgymnastische Kräftigungsübungen sind kein Krafttraining. Die Zielmuskulatur wird dabei nicht intensiv genug angesprochen und damit kein Trainingsreiz produziert. Folglich bleiben physiologische Anpassungen im Sinne eines Krafttrainings aus (vgl. Konrad und Kollegen 1999, Wirth und Kollegen 2016). Dies gilt auch für viele Übungen, die heute unter dem Begriff „Functional Training“ oder in der Physiotherapie als „Corrective Exercises“ praktiziert werden, da hierbei oftmals nur geringe oder gar keine Zusatzlasten Verwendung finden. Aber: Diesen Übungen kommt im Trainingsprozess trotzdem eine wichtige Rolle zu. Nicht selten liegen bei Ausdauersportlern individuelle Kraft-, Mobilitäts- und Koordinationsdefizite vor, die es mit solchen Übungen aufzuarbeiten gilt.

Krafttraining im Ausdauersport: Studien haben die positiven Effekte vielfach belegt

Zahlreiche Untersuchungen belegen die positiven Auswirkungen eines ergänzenden Krafttrainings für Ausdauersportler. Welche positiven physiologischen Effekte für Ausdauersportler in Studien erzielt werden konnten, haben z.B. Rønnestad und Mujika (2013) in einem Übersichtsartikel zusammengefasst. Die Autoren haben zahlreiche Studien analysiert, in denen trainierte Radsportler und Läufer parallel zum Ausdauertraining ein Krafttraining betrieben haben. Die Ergebnisse zeigt die folgende Tabelle: 

 

Potenzielle positive physiologische und leistungsbezogene Effekte eines Krafttrainings mit höheren und explosiven Ausführungen auf die Ausdauerleistung (Rønnestad und Mujika 2013) 

Potenzielle positive physiologische und leistungsbezogene Effekte 

Evidenz des Nutzens (Benefit)

erhöhte VO2Max nein
gesteigerte Bewegungsökonomie ja
erhöhte anaerobe Kapazität ja
erhöhter Laktat-Schwellenwert ja
verminderte oder verzögerte Müdigkeit (Fatigue) ja
erhöhtes Kraftmaximum ja
verbesserte Kraftentwicklung ja
gesteigerte Höchstgeschwindigkeit ja
verbesserte Ausdauerleistung ja

Negative Effekte durch ein ergänzendes Krafttraining, wie z.B. eine ungewünschte Körpergewichtszunahme oder eine reduzierte relative maximale Sauerstoffaufnahme, konnten die Autoren für Ausdauersportler nicht feststellen (Rønnestad und Mujika 2013).

Für die Sportpraxis kurz zusammengefasst, liegt der Benefit eines ergänzenden Krafttrainings für Ausdauersportler besonders in den folgenden Punkten (Wagner und Mühlehoff 2017):

  • Krafttraining kann die Ausdauerleistung unterstützen,
  • die Muskeleffizienz verbessern,
  • die Leistungen bei kurzzeitigen und rennentscheidenden Antritten steigern (z.B. bei Ausreißversuchen, Zielsprints oder dem Schließen von Lücken).

Gesundheit stärken

Ausdauertraining hat positive Effekte auf das Herz-Kreislaufsystem. Umfangreiche gesundheitliche Auswirkungen sind aber nur durch die Kombination aus Ausdauer- und Krafttraining möglich. Physiologische Anpassungen wie z.B. günstige hormonelle Auswirkungen und eine Erhöhung der Knochenmineraldichte sind nur durch ein Krafttraining mit höheren Lasten zu erreichen (mehr erfahren). Ebenso schützt auch nur ein Krafttraining vor einem Schwund an Muskelmasse im Alter, der bereits nach dem 2. bis 3 Lebensjahrzehnt beginnt. Diese Aspekte sind besonders für Sportler relevant, die Sport treiben, um auch die eigene Gesundheit zu fördern (vgl. u.a. Chilek 1999, Frontera und Kollegen 2000, Mayer und Kollegen 2003).

Aber auch leistungsorientierte Ausdauersportler profitieren von den gesundheitswirksamen Anpassungen durch ein ergänzendes Krafttraining. Hierbei werden passive Körper- und Gelenkstrukturen gestärkt: Knochen, Bänder, Sehnen und Knorpel. Dadurch wird wiederum das Verletzungs- und Verschleißrisiko wirkungsvoll reduziert. Ebenso wird muskulären Dysbalancen durch die einseitigen Belastungen im Ausdauersport entgegengewirkt (Wagner und Mühlenhoff 2017).     

VLaMax: Teamplayer und Gegenspieler

Die maximale Laktatbildungsrate gilt als Indikator für die maximale glykolytische (anaerobe) Leistung. Mit jedem Molekül Laktat produziert der Muskel anaerob Energie. Wichtig zu wissen: Für die maximale Laktatbildungsrate (VLaMax) gilt: manchmal ist weniger mehr. 

Aus diesem Grund wird dem Krafttraining mitunter ein negativer Effekt für Ausdauersportler zugeschrieben, da es womöglich die maximale Laktatbildungsrate „unerwünscht“ erhöhen kann (Nitzsche und Kollegen 2020). Dass dies nicht zwangsläufig der Fall sein muss, zeigen eigenen Untersuchungen von iQ athletik (mehr erfahren). Anzumerken ist, dass die langfristigen Anpassungen von Krafttrainingsbelastungen auf den muskulären Energiestoffwechsel grundsätzlich noch nicht ausreichend geklärt sind. Dies gilt besonders für leistungsfähigere Sportler beim Krafttraining (vgl. auch Marzin 2017).

Nicht vergessen werden sollte an dieser Stelle, dass eine gesteigerte VLaMax für Sportler durchaus auch von Vorteil sein kann. Folgend soll kurz aufgezeigt werden, wer von einer höheren und wer von einer niedrigeren maximalen Laktatbildungsrate profitiert:

Von einer niedrigeren VLaMax profitieren z.B. Sportler beim Ironman und Marathonlauf. Hintergrund ist, dass eine niedrige glykolytische Rate eine höhere anaerobe Schwelle, eine höhere Fettverbrennung und einen sparsameren Verbrauch von Kohlenhydraten ermöglicht. Alles Faktoren, die eine bessere Dauerleistung ermöglichen. Was auf langen Distanzen von Vorteil ist, reduziert jedoch die Leistung auf kurzen und intensiven Stecken. Wird viel Energie innerhalb kurzer Zeit benötigt, wie es z.B. Sprints erfordern, wird hierbei die Leistung durch eine höherer maximale Laktatbildungsrate begünstigt. Von einer höheren VLaMax profitieren daher z.B. Mountainbiker auf der Cross-Country-Distanz sowie Sprintspezialisten im Radsport und Triathlon.


Grundsätzlich gilt:

Gesucht ist immer ein Optimum der maximalen Laktatbildungsrate mit Blick auf die ausgeübte Sportart. Je nach Ausprägung und Zielstellung kann die Vlamax daher ein Teamplayer sein, den es bewusst zu stärken gilt – oder auch ein Gegenspieler, der im Blick gehalten werden muss. Bestimmen lässt sich die Vlamax nur durch eine gezielte Leistungsdiagnostik (mehr erfahren).


Wer profitiert besonders von einem ergänzenden Krafttraining?

Der Stellenwert des Krafttrainings ist für den einzelnen Ausdauersportler durchaus unterschiedlich hoch. Ist der Blick allein auf die wettkampfspezifische Leistung gerichtet, kann vereinfacht gesagt werden: je kürzer die Wettkampfdauer, desto mehr profitieren Sportler von einem ergänzenden Krafttraining. So können z.B. Bahnradsprinter, Mountainbiker im Cross-Country, Querfeldeinfahrer (Cyclocross) und Triathleten auf der Sprintdistanz mehr von einer gut ausgebildeten Muskelkraft profitieren als MTB-Marathon-Fahrer und Triathleten auf der Langdistanz.

Je stärker der Blick auf präventive und gesundheitswirksame Anpassungen durch ein sportliches Training gerichtet wird, desto wertvoller wird ein ergänzendes Krafttraining (siehe Abschnitt „Gesundheit stärken“). Dies ist unabhängig davon, welche Ausdauersportart betrieben wird. Die Blickrichtung auf gesundheitswirksame Anpassungen sollte besonders für Freizeitsportler eine wichtige Rolle spielen.

Der folgende Selbsttest für Radsportler und Triathleten hilft dabei, den eigenen Stellenwert für ein ergänzendes Krafttraining zu ermitteln:

Selbsttest und Infografik: Kann ich als Ausdauersportler von einem Krafttraining profitieren?

Fazit

Krafttraining ist grundsätzlich eine wertvolle Stellschraube für Ausdauersportler. Wie viel und wann sie im Trainingsprozess gedreht wird, muss mit Blick auf den einzelnen Sportler individuell entschieden werden. 


In der Regel stellt sich weniger die Frage, ob Ausdauersportler von einem ergänzenden Krafttraining profitieren können; dies ist vielfach belegt. Vielmehr ist die Frage zu stellen, wie das Training im Kraftraum erfolgreich in einen Trainingsplan integriert werden kann (Wagner und Mühlenhoff 2017, Zinner 2020).


Die Kombination von Kraft- und Ausdauertraining innerhalb eines Trainingsplans ist eine Herausforderung. Damit ein Krafttraining erfolgreich ist, müssen nicht nur die richtigen Übungen ausgewählt werden. Entscheidend ist vor allem die Zusammensetzung der Trainingsmethoden innerhalb der verschieden Trainingszyklen. Und stets gilt es die individuelle Belastungsverträglichkeit im Blick zu behalten (Stichwort: Übertraining). Werden diese Aspekte berücksichtigt, können Ausdauersportler wie Radfahrer und Triathleten von den Effekten eines ergänzenden Krafttrainings vielfältig profitieren.

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Autoren

Die beiden Sportwissenschaftler und Gründer von iQ athletik sind begeisterte Radsportler mit viel Erfahrung im Sattel und an der Langhantel. Ob Geländeradsport oder Wissenschaft – gerne verlassen sie alte Pfade, um neue Wege zu entdecken. Ihr viel beachtetes Buch Krafttraining im Radsport hat in der 2. Auflage bis heute nichts an seiner Aktualität verloren.

Andreas Wagner M.A., iQ athletik, Sportwissenschaftler
Andreas Wagner M.A., Sportwissenschaftler und Mitbegründer von iQ athletik
Sebastian Mühlenhoff, iQ athletik, Sportwissenschaftler
Sebastian Mühlenhoff M.A., Sportwissenschaftler und Mitbegründer von iQ athletik


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Gender-Hinweis: Für eine bessere Lesbarkeit wurde bei Personenbezeichnungen und personenbezogenen Hauptwörtern in diesem Artikel die männliche Form verwendet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprachform hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.

LITERATUR

  • Bazyler, C. D., Abbott, H. A., Bellon, C. R., Taber C. B., Stone M. H. (2015). Strength training for endurance athletes: theory to practice. Strength and Conditioning Journal, 37(2), 1-12.
  • Chilek, D. R. (1999). A meta-analysis of elderly weight training. Dissertation, A&M University, Texas.
  • Mayer, F., Gollhofer, A., Berg, A. (2003). Krafttraining mit Älteren und chronisch Kranken. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, 54 (3), 88–94.
  • Marzin, T. (2017). Ausgewählte leistungsphysiologische Befunde unter besonderer Berücksichtigung von Krafttraining und Kniestreckarbeit. Dissertation, Sportwissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig.
  • Frontera, W. R., Hughes, V. A., Fielding, R. A., Fiatarone-Singh, M. A., Evans, W. J., Roubenoff, R. (2000). Aging of skeletal muscle: a 12-yr longitudinal study. Journal of Applied Physiology, 88, 1321–1326.
  • Konrad, P., Denner, A., Schmitz, K., Starischka, S. (1999). EMG-Befunde zur Haltungskoordinierung und zur ausgewählten Kräftigungsübungen der Rumpfmuskulatur. Orthopädische Praxis, 35, 698–708.
  • Nitzsche, N., Lenz, J. C., Voronoi, P., Schulz, H. (2020). Adaption of Maximal Glycolysis Rate after Resistance Exercise with Different Volume Load. Sports Medicine International Open. - Georg Thieme Verlag KG. - 4. 2020, 02, E39 - E44.
  • Rønnestad, B. R., Mujika I. (2013). Optimizing strength training for running and cycling endurance performance: A review. Scandinavian Journal of Medicine and Science in Sports 4 (4), 603-612.
  • Schmidtbleicher, D. (2003). Motorische Eigenschaft Kraft: Struktur, Komponenten, Anpassungserscheinungen, Trainingsmethoden und Periodisierung. In: Fritsch, W. (Hrsg.), Rudern – erfahren, erkunden, erforschen. Gießen: Wirth: 15–21.
  • Wagner A., Mühlenhoff S. (2017). Krafttraining im Radsport. Methoden und Übungen zur Leistungssteigerung und Prävention. München: Elsevier im Urban & Fischer Verlag.
  • Wirt, K., Schlumberger, A., Zawieja, M., Hartmann, H. (2012). Krafttraining im Leistungssport. Theoretische und praktische Grundlagen für Trainer und Athleten. Köln: Sportverlag Strauß.
  • Wirth, K., Hartmann, H., Mickel, C., Szilvas, E., Keiner M., Sander A. (2016). Core Stability in Athletes: A Critical Analysis of Current Guidelines. Sports Medicine, Epub ahead of print, doi:10.1007/s40279-016-0597-7.
  • Zinner, C. (2020). Concurrent Training. Einordnung, Mechanismen und praktische Empfehlungen. Leistungssport 50 (3), 21-24. 

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